Zukunft der Eurobahn

Eine Übernahme der Eurobahn durch den SPNV-Aufgabenträger Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) wird vom Fahrgastverband PRO BAHN befürwortet. Dafür gibt es viele Gründe, die wir hier nennen. Insbesondere die Diskussion über finanzielle Risiken einer solchen Übernahme beachtet nicht, dass der Schienenverkehr eine öffentliche Dienstleistung der Daseinsvorsorge ist, zu der es in aller Regel keine ernsthafte Alternative gibt. Die Provokation eines Stillstandes des Schienenverkehrs durch Insolvenz eines Unternehmens ist keine verantwortbare Option.

Die Lage zur Jahreswende 2024/2025

Die finanzielle Situation der Eurobahn kann von außen nicht eingeschätzt werden. Die Situation ist aber nach den äußeren Anzeichen zu schließen, prekär. Nicht ohne Grund hat der NWL die Handlungsmöglichkeiten untersuchen lassen. Zur Pressemitteilung hierzu.
Ein Bericht des WDR gibt Aufschluss über die Lage.

Laufende Verträge der Eurobahn:
Maas-Rhein-Lippe-Netz: RE 3 Hamm – Düsseldorf, RE 13 Hamm – Venlo, Auftraggeber VRR
Laufzeit ursprünglich bis Ende 2025, verlängert bis Ende 2026.  Danach steht die Übernahme des Verkehrs durch die DB-Tochter Start mit Zweisystemfahrzeugen für den Einsatz bis Eindhoven an.
Dieselnetz OWL Nord (RE 82 Bielefeld – Detmold – Altenbeken, RB 67 Bielefeld – Warendorf – Münster, RB 71 Bielefeld – Rahden, RB, 73 Bielefeld – Lemgo-​Lüttfeld, Auftraggeber NWL)
Der Auftrag lief ursprünglich bis Ende 2025 und wurde zweimal um verlängert und gilt jetzt bis Ende 2029.
Hellweg-Netz (RB 50 Münster – Lünen – Dortmund, RB 59 Dortmund –Soest, RB 69 / 89 Münster – Hamm – Bielefeld/Paderborn, Auftraggeber NWL)
Der Vertrag läuft noch bis 2030, die Neuausschreibung steht an.
Teutoburger-Wald-Netz (RB 61 Bielefeld – Bad Bentheim – Hengelo, RB 65 Münster – Rheine, RB 66 Münster – Osnabrück, RB 72Herford  – Paderborn, RE 78 Bielefeld – Nienburg, Auftraggeber NWL)
Der Vertrag läuft noch bis 2032. Die Ausschreibung steht in absehbarer Zeit an.

Wer ist für die Misere verantwortlich?

Ein Grund ist der Grundsatz der Vergabe von Betriebsleistungen durch Ausschreibungen: „Der billigste Anbieter gewinnt.“ So gesehen liegt die Antwort nahe, dass sich das Unternehmen Eurobahn verkalkuliert hat. Es dürfte nach den von Anfang an bestehenden Problemen (siehe Wikipedia) davon auszugehen sein, dass eine solche generelle Fehlkalkulation der Ausgangspunkt der Probleme ist, die letztlich dazu geführt hat, dass sich der hinter der Eurobahn stehende Keolis-Konzern entschlossen hat, die Geschäftstätigkeit in Deutschland einzustellen und die Eurobahn an eine Finanz-Holding zu verkaufen. Diese sollte das Unternehmen an ein anderes Eisenbahn-Unternehmen weiterverkaufen, was bisher nicht realisiert werden konnte.
Die Geschäftsführer, die die vor etwa 10 Jahren und früher geschlossenen Verträge zu verantworten haben, sind nicht mehr im Amt, die heutigen Verantwortlichen müssen mit der Lage zurechtkommen.
Die Situation wurde aber durch Ereignisse verschärft, die zur Zeit des Abschlusses der Verträge so nicht absehbar waren:
* Massiv steigende Personalkosten,
* Verknappung des verfügbaren Personals sowohl aufgrund der demografischen Entwicklung als auch aufgrund der geringen Attraktivität des Schichtdienstes,
* Eine massiv erhöhte Bautätigkeit bei DB Netz / DB InfraGo mit einem nicht vorhergesehenen Aufwand für Umorganisation und Ersatzverkehr.
Unter diesen Bedingungen gerät jedes Unternehmen an die Grenzen seiner finanziellen Stabilität. Andere Unternehmen sind aus solchen Gründen in ähnliche Schieflagen geraten (Abellio, Metronom, GoAhead), mit sehr unterschiedlichen Folgen, die aber letztlich immer finanziell zulasten der Besteller gingen.
Aufgrund der schon anfänglichen Probleme ist die Eurobahn im Bereich Personal von Abgängen in besonderem Ausmaß betroffen. Anders ausgedrückt: Die Ursachen sind vielfältig, die Suche nach einem persönlich Verantwortlichen ist nicht sinnvoll und hilft nicht bei der Bewältigung des Problems.

Was geschieht, wenn nichts geschieht? Stillstand!

Letztlich muss ein Unternehmen früher oder später Insolvenz anmelden, wenn die Einnahmen nicht ausreichen. Da auch für die Zukunft die profitable Führung des Unternehmens nicht zu erwarten ist, würde eine Durchführung eines Schutzschirmverfahrens in Eigenverantwortung fraglich sein, sodass die Bestellung eines Insolvenzverwalters erforderlich würde. Letztlich ist im Fall Abellio Rail die Bestellung des Insolvenzverwalter mit dem Zeitpunkt zusammengefallen, zu dem die Betriebsleistung eingestellt wurde. Ob ein Insolvenzverwalters den Betrieb noch weiterführen könnte, ist eine Frage, die vorab nicht einzuschätzen ist. Letztlich muss der Insolvenzverwalter so handeln, dass keine weiteren Verluste entstehen, und das kann auch die sofortige Betriebseinstellung bedeuten. Die Arbeitnehmer würden vorübergehend Konkursausfallgeld beziehen, aber es würden keine Züge fahren.
Damit müsste der Betrieb so schnell wie möglich im Wege der Notvergabe an andere Unternehmen vergeben werden. Im Fall Abellio Rail konnte hierfür ein Zeitraum von etwa 7 Monaten genutzt werden, der zwischen der Anmeldung der Insolvenz und der Betriebsaufnahme durch andere Unternehmen lag. Ob diese Frist in Sachen Eurobahn überhaupt noch möglich ist, ist fraglich. In diesem Zeitraum müssen Unternehmen gefunden werden, die ein Angebot für die Betriebsübernahme machen und im Hintergrund enorm viele Verträge erneuert werden, mit Leasing-Unternehmen, Dienstleistern und DB InfraGo. Letztlich muss der SPNV-Aufgabenträger dem neuen Unternehmen zahlen, was gefordert wird. Dieses finanzielle Risiko ist nicht vorab kalkulierbar.

Die Übernahme des Unternehmens bietet mehr Optionen

Durch die Abwicklung der bisherigen Verträge im Unternehmen Eurobahn können die Risiken einer Insolvenz vermieden werden. Die Möglichkeiten einer Inhouse-Vergabe und die Möglichkeit, laufende Verkehrsverträge auf ein auskömmliches Niveau anzupassen, sind deutlich flexibler nutzbar als im Rahmen einer Notvergabe.

Besondere Bedingungen des Dieselnetzes Nord: Umstellung auf Batterie-Fahrzeuge

Für das Dieselnetz Nord und einige andere Strecken sind bereits neue Triebfahrzeuge ausgeschrieben worden. (Details siehe hier). Aufgrund der aktuell großen Nachfrage nach solchen Fahrzeugen und gleichzeitig einem zunehmenden Personalmangel bei den Herstellern kommt es zu erheblichen Verzögerungen der Lieferung. Eine Übernahme der Eurobahn durch den NWL und damit durch eine unmittelbare Verfügbarkeit über diverse Vertragsbedingungen kann ermöglicht werden, den Übergang von den Dieselfahrzeugen zu Elektrofahrzeugen deutlich flexibler zu gestalten und damit Risiken erheblich abzufedern. In der augenblicklichen Situation ist nicht absehbar, ob ein klassischer Übergang zu einem Stichtag X an einen neuen Betreiber funktionieren kann. Das Land Schleswig-Holstein hat mit einer Diesel-Übergangsflotte und einem schrittweisen Hochfahren des Einsatzes der neuen Fahrzeuge gute Erfahrungen gemacht.

Die finanziellen Risiken

Keine Teilnahme am Wirtschaftsleben ist ohne Risiko. Das gilt auch für die Ausschreibung von Schienenverkehrsleistungen. Diese Risiken werden nicht dadurch kleiner, wenn Verkehrsleistungen durch beauftragte Unternehmen ausgeführt werden – die Insolvenz der Abellio Rail hat dies unmissverständlich spürbar gemacht und gezeigt, dass das System Ausschreibung in der Praxis nicht frei von Risiken ist. Es kann sogar langfristig von Vorteil sein, wenn Aufgabenträger über eigene Unternehmen verfügen, in die sie deutlich tiefere Einblicke in die Geschäftstätigkeit haben als in die extern beauftragten Unternehmen. Der schienengebundene öffentliche Verkehr in den Städten wird in aller Regel in Deutschland bisher nicht ausgeschrieben, sondern als Inhouse-Vergabe dem eigenen Verkehrsunternehmen übertragen. Dass die Eigentümer dieser Unternehmen unkalkulierbare Risiken übernehmen würden, ist nicht bekannt. Vielmehr können die Risiken, die durch Fehleinschätzungen entstehen, in aller Regel durch einen besseren Einfluss auf das Leistungsangebot und Investitionen minimiert werden. Ein eigenes Verkehrsunternehmen hat darüber hinaus einen unschätzbaren Vorteil: die Kontinuität der Personalzugehörigkeit. Dieser Vorteil wird derzeit sehr deutlich: Nur in der allerersten Zeit funktionierten Betriebsübergaben von einem zu einem anderen Unternehmen ohne Probleme. Je knapper Arbeitskräfte werden, umso eher nutzen Arbeitnehmer die Möglichkeit, vorzeitig sich einen „besseren“ Arbeitgeber zu suchen. Genau das ist das gegenwärtige Problem der Eurobahn und seines Auftraggebers:  Das Verkehrsangebot für die Fahrgäste kann nicht mehr sichergestellt werden. Dabei ist der Schienenverkehr in aller Regel alternativlos, denn Busse brauchen die doppelte und dreifache Zeit für die gleiche Strecke und können nicht das Platzangebot sicherstellen, dass in den Triebwagen vorgehalten werden kann